Gesellschaft für Landeskunde und Denkmalpflege

Oberösterreich

Auslöschung

Das dramatische Ende des Weinmeisterhauses.

Von Martin Osen (Artikel erschien im Mitteilungsblatt 1, Mai 2022)

Der Verlust unseres baukulturellen Erbes schreitet stetig voran – mitunter in atemberaubender Geschwindigkeit, meist aber sang- und klanglos und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Eine Ausnahme war zuletzt der Fall des Weinmeisterhauses am Pöstlingberg, der für unerwartet große Aufregung sorgte. Neben der Berichterstattung in der lokalen Presse gingen vor allem in den Sozialen Medien die Wogen hoch. Stellvertretend sei hier ein Kommentar von Erich Gusenbauer zitiert, der die Causa pointiert zusammenfasst: „Einer Melange aus unendlicher Profitgier, Ignoranz politisch Verantwortlicher, der Hybris unserer Zeit und dem völligen Versagen des Denkmalschutzes ist es geschuldet, dass ein intaktes, kulturhistorisches Juwel zerstört wird...“ Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Stimmen, die sich etwa fragten, „wie viele Häuser im Heimatschutzstil wir wirklich der Nachwelt erhalten müssen.“ Das Bundesdenkmalamt bezog insofern Position, als ausdrücklich kein Verfahren auf Unterschutzstellung eingeleitet wurde.

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Abb. 1: Die Villa Weinmeister am Pöstlingberg. Foto (c) DI Gerald Soppar

Der Schauplatz des Geschehens 

Das Weinmeisterhaus am Pöstlingberg hatte ohne Zweifel etwas Einzigartiges. Mit seinen zeitlos klassischen Proportionen und dem hohen Walmdach war es schwer in Kategorien zu fassen, einmal wurde es als „Landhaus“ bezeichnet, dann wieder als „Villa“ – richtig gerecht wurde ihm wohl keine der Zuschreibungen. Vor allem über den architektonischen Wert und die historische Bedeutung des Hauses wurde bis zuletzt trefflich gestritten. Die einen sahen in ihm „ein kleines architektonisches und historisches Juwel“, ja gar „das schönste Haus von Linz“ (wenn auch knapp auf Puchenauer Gemeindegebiet gelegen) und attestierten ihm „eine ganz große Eigenständigkeit“. Die anderen sprachen ihm genau jene Eigenständigkeit ab und bezeichneten es als „privates Wohnhaus im Landhausstil“, das lediglich eine Kopie alter Herrenhäuser „ohne besondere kreative architektonische Schöpfung und ohne jede Authentizität“ sei.

Jedenfalls fand das Haus bereits 2011 als eines von 215 Objekten Eingang in den Architekturführer „Architektur in Linz 1900–2011“: „Das zweigeschoßige, bürgerliche Gebäude im gediegenen Landhausstil hat einen einfachen, rechteckigen, symmetrischen Grundriss, die Ausrichtung erfolgte quer zur Hanglage. Dadurch ergeben sich zwei gleichwertige Schauseiten und Außenräume. Über die ebenerdige, zentrale Eingangshalle gelangt man in den großzügigen Wohnsalon im ersten Stock. Von hier führt eine weitere kleine Stiege in die Schlafräume unter dem Dach. Es gibt keine baulichen Veränderungen, die originale Charakteristik ist gänzlich erhalten geblieben, sogar Türen und Fenster sind noch mit den vom Architekten entworfenen Beschlägen ausgestattet. Böden, Stiegen, Geländer und Kachelöfen sind vollkommen unverändert. Prägend und eigenwillig sind die im Salon befindlichen Holzträme, die von der Mutter des Architekten, Fanny Thiersch, kunstvoll bemalt wurden. Stephan Thiersch stammte aus einer renommierten Münchner Architekten- und Künstlerfamilie.“

Das Haus zitiert bei genauerer Betrachtung ganz bewusst die Architektur der Hammerherrenhäuser in der Eisenwurzen. Dies überrascht wenig, wenn man sich mit der Herkunft der Familie des Bauherrn auseinandersetzt. Als direkte Vorbilder können vor allem Häuser mit unmittelbarem Bezug zur Familiengeschichte gelten, wie etwa das Herrenhaus am Windfeld in Micheldorf seines Großvaters Michael Weinmeister, das Neue Herrenhaus des Weinmeisterwerks in Micheldorf, dem Stammsitz der Familie, und vor allem das Neue Herrenhaus des Weinmeisterwerks in Spital am Pyhrn seines Urgroßvaters Gottlieb Weinmeister. Die beiden letztgenannten Objekte wurden übrigens ziemlich genau hundert Jahre vor dem Haus am Pöstlingberg, nämlich 1837 bzw. 1831, vom Linzer Stadtbaumeister Franz Höbarth errichtet. Zahlreiche architektonische Elemente, vom hohen, biberschwanzgedeckten Walmdach mit den symmetrisch am First angeordneten Kaminen, über die gemauerten Gauben und das korbbogige Eingangsportal bis hin zu den die Proportionen mit hohen Fenstern im Obergeschoß und gedrungeneren, vergitterten Fenstern im Erdgeschoß wurden von den Vorbildern übernommen und dabei vom Architekten Stephan Thiersch zu einem stimmigen Ganzen zusammengeführt.

Diese Rückbesinnung auf die bedeutende Geschichte der eigenen Familie lag genau im Trend einer Zeit, als eben diese Bedeutung in der Gegenwart bereits geschwunden war. In dem Zusammenhang sei etwa auch auf den geradezu schwärmerischen Roman „Der schwarze Adel. Die Zunft der Sensenschmiede. Volk meiner Heimat.“ von Edith Gräfin Salburg verwiesen, der ebenfalls 1937, also just im Jahr der Errichtung des Weinmeisterhauses, erschien.

Diese Geschichte des Hauses und seiner Besitzerfamilie im Kontext der Industrialisierung Oberösterreichs wurde zwar immer wieder erwähnt, aber bisher noch nicht ausreichend behandelt. 

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Abb. 2 & 3: In einer Zeitkapsel überlieferte Architekturzeichnungen des Weinmeisterhauses. Foto (c) OÖ. Sensenschmiedemuseum / Martin Osen

 

Erster Akt: Familie Weinmeister 

Der Bauherr Hans Weinmeister enstammte einer der ältesten und angesehensten Sensenschmiedefamilien Österreichs. 1576 scheint erstmals ein Sensenschmied namens Michl Weinmeister (1544–1626) auf der Schützenhub in Micheldorf auf. Bereits sein Vater dürfte hier seit 1530 als Sensenschmied tätig gewesen sein, die Abstammung ist jedoch aufgrund der Quellenlage nicht ganz eindeutig nachweisbar. Ebenso wenig nachweisen lässt sich die innerhalb der Familie tradierte Überlieferung, die Weinmeister wären ein altes, bereits im 14. Jahrhundert aus der Pfalz eingewandertes Geschlecht. Derartige Erkenntnisse dürften eher der Phantasie und Gesch.ftstüchtigkeit von Genealogen des 19. Jahrhunderts zuzuschreiben sein, die jedem eine entsprechende Herkunft samt Familienwappen nachwiesen, der entsprechend dafür bezahlte. Ein Sohn Michl Weinmeisters, Wolfgang, erwarb jedenfalls 1610 die benachbarte Sensenschmiede an der Zinne, die fortan als Weinmeister-Werkstatt zum Stammhaus aller Weinmeister werden sollte. Aufmerksamen Lesern des Mitteilungsblattes ist vielleicht noch das „Weinmeisterhaus“ in Micheldorf in Erinnerung, über das im Zuge seiner Nominierung zum Denkmalpreis 2017 berichtet wurde. Die Söhne und Töchter der traditionell kinderreichen Sensenschmiedefamilien heirateten vorzugsweise „in die Zunft“, wodurch sich immer engere familiäre Beziehungen untereinander entwickelten. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert befand sich so ein Großteil der Sensenwerke Österreichs in der Hand weniger Familien, wozu auch die Weinmeister zählten. Auffällig sind deren häufige Verbindungen zur Sensenschmiedefamilie Zeitlinger. So heiratete etwa Anna Barbara Weinmeister (1728–1779), die letzte Weinmeistertochter an der Zinne, 1755 den weitschichtig verwandten Johann Georg Zeitlinger (1736–1794) von der Strub in Molln. Deren Sohn Franz Seraphin Zeitlinger (1760–1828) wiederum vermählte sich 1796 mit seiner Cousine 2. Grades Seraphina Maria Theresia Weinmeister (1775–1853) aus Spital am Pyhrn. Deren Tochter Juliana Seraphina Zeitlinger (1810–1881), die Schwester Caspar Zeitlingers, heiratete 1836 mit bischöflicher Dispens ihren Cousin Gottlieb Weinmeister (1808–1873), der zugleich auch ihr Cousin 2. Grades und Cousin 3. Grades war. Dessen Halbbruder Johann Michael Seraphin Weinmeister (1817–1895) ehelichte schließlich 1847 seine Cousine 2. Grades Josepha Maria Seraphina Zeitlinger (1826–1889), eine Tochter Caspar Zeitlingers. 

Dieser Johann Michael „Michl“ Weinmeister, der Großvater des Bauherrn Hans Weinmeister, war einer der letzten bedeutenden Sensengewerken des Kremstals. Erzählungen zufolge war er am Hof des Fürsten Metternich erzogen worden, was sein als auffällig kultiviert und selbstbewusst beschriebenes Auftreten erklären würde. Von einem gesunden Selbstbewusstsein zeugen jedenfalls auch die von ihm neu registrierten Sensenmarken „Kaiser von Österreich“ und „Zar von Rußland“. Im Alter von 21 Jahren übernahm er bereits das Sensenwerk im Aigen (Melcherl), später das Sensenwerk am Windfeld (Hierzenberger), beide in Micheldorf, sowie das Sensenwerk im Graben zu Klaus (Grünauer), das er zu einem Stahlwerk erweiterte. Sein beträchtlicher Grund- und Immobilienbesitz hätte laut Tages-Post „keinem Rittergutsbesitzer Schande gemacht“. Als technisch begabter Erfindergeist führte er zahlreiche Neuerungen ein und wurde dafür mit dem goldenen Verdienstkreuz mit Krone ausgezeichnet, musste aber trotz allem im Umfeld der Weltwirtschaftskrise von 1873 Konkurs anmelden. Für die Familie war dies ein schwerer Schlag, sie verlor ihr gesamtes Vermögen. Die Kinder mussten sogar aus der Realschule genommen werden, weil die Eltern das Schuldgeld nicht mehr aufbringen konnten. Seinen Lebensabend verbrachte Michl Weinmeister verarmt im Sensenwerk Arzberg in der Steiermark, wo er 1895 in den Fluder stürzte und ertrank. 

Sein gleichnamiger Sohn Johann Michael Seraphin Weinmeister (1849–1925) war Pächter des genannten Sensenwerks in Arzberg sowie im Lauf seines Lebens Pächter oder Leiter mehrerer anderer Werke. In Marburg versuchte er Sensen nach einem neuartigen Schweißverfahren zu produzieren. Mehr noch als sein Vater war er technischen Innovationen aufgeschlossen und versuchte er sich als Erfinder, nicht nur auf dem Gebiet der Sensenerzeugung. Er wurde allgemein „Lord“ genannt und hatte einen Ruf als Kavalier und Hypnotiseur. Ob sein Spitzname „Windmichl“ nur von seiner Herkunft vom „Windfeld“ in Micheldorf herrührt oder nicht doch auch seinem in höheren Sphären schwebenden Geist geschuldet war, sei dahingestellt. Jedenfalls lassen zwei während der Vorbereitungen zu diesem Artikel für das Sensenschmiedemuseum Micheldorf ersteigerte Geschäftsbriefe seinen visionären Geist erahnen und schlagen die Brücke zu einem weiteren bedeutenden Kapitel österreichischer Wirtschaftsgeschichte: Im April 1889 erhielt Michael Weinmeister einen Brief vom Wiener Händler J. E. Bierenz, der an ihn schreibt: „[Z]u m[einem] Leidwesen lassen Sie über die Motorangelegenheit gar nichts mehr hören! Und doch zehre ich noch an dem Feuer der Begeisterung, das Sie vor so kurzer Zeit wach riefen.“ Offenbar stand Michael Weinmeister bereits seit dem Jahr 1888 in Kontakt zur Firma Benz & Co. und verhandelte wegen einer Lizenzproduktion für Österreich-Ungarn. Bierenz versucht Weinmeister zu überreden, „Sie lassen mich mit Benz directe correspondiren und wollen Sie mich gefl. umgehend dazu autorisiren“ und schlägt die Gründung einer gemeinsamen Aktiengesellschaft vor. „Den Daimler können Sie ja einstweilen behandeln.“ Josef Eduard Bierenz sollte später als Mitbegründer der „Oesterreichischen Daimler-Motoren-Commanditgesellschaft Bierenz Fischer u. Co“ in die österreichische Automobilgeschichte eingehen. Das Unternehmen entwickelte sich unter dem Namen Austro-Daimler auch dank seines Konstrukteurs Ferdinand Porsche zu einem der renommiertesten Hersteller, bevor es in der Steyr-Daimler-Puch AG und diese schließlich im Magna-Konzern aufging.

 

Zweiter Akt: Familie Rosenbauer 

Der älteste von drei Söhnen Michaels, der wiederum gleichnamige Johann Michael Weinmeister (15.12.1892–30.11.1960), war der spätere Bauherr des Hauses am Pöstlingberg. Er sollte eigentlich als Sensenfabrikant in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten und absolvierte daher nach dem Besuch des Realgymnasiums in Stuttgart die renommierte Höhere Staatsgewerbeschule in Reichenberg (Böhmen). Kurz darauf trat er als Betriebsassistent in die Firma Redtenbacher in Scharnstein ein, damals der größte Sensenproduzent der Monarchie mit über 700 Mitarbeitern und einer Jahresproduktion von einer Million Sensen. 

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Abb. 4 und 5: J. M. Weinmeister, Portrait und Soldbuch aus der Zeit des 1. Weltkrieges. Foto (c) OÖ. Sensenschmiedemuseum / Martin Osen

 

Redtenbacher war mit einer Niederlassung in Linz vertreten, wo Hans Weinmeister durch Zufall die jüngste Tochter von Conrad und Luise Rosenbauer, Dorothea Anna Rosenbauer (16.12.1900–5.8.1988), kennenlernte. Sie heirateten 1923, im selben Jahr trat Hans Weinmeister in das Unternehmen Rosenbauer ein. Er verantwortete die Fabrikserweiterung in den Zwanzigerjahren und war als Betriebsleiter wesentlich am Aufbau des Unternehmens beteiligt. Bereits 1926 konnte das erste Feuerwehrfahrzeug nach China exportiert werden. Ab 1929 wurden dann eigene Zweitaktmotoren produziert. Ebenfalls 1929 trat sein Cousin Bruno Weinmeister (1902–1975) in das Unternehmen ein und unterstützte ihn maßgeblich in der Aufbauarbeit, zunächst als Betriebsleiter und später als Prokurist. Auch hier schlug wieder eine ausgesprochene Erfindergabe durch, die sich in zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben manifestierte. Bruno Weinmeister war übrigens langjähriges Mitglied im Leitenden Ausschuss des OÖ. Musealvereins. 

Der Bau des Hauses am Pöstlingberg im Jahr 1937 fiel also in eine Zeit des wirtschaftlichen Aufstiegs. In unmittelbarer Nachbarschaft des Neubaus wohnte übrigens Bruno Weinmeister an der Adresse Pöstlingberg 100. Die Tochter von Hans und Dora Weinmeister, Jucunda Dorothea Weinmeister (1923–2000), heiratete 1944 den Inhaber der Mosaikwerkstätten August Wagner in Berlin-Neukölln, Hans Wagner (1902–1964). Aus der Hand von Jucunda Wagner-Weinmeister stammten sowohl Kachelöfen sowie eine bemalte Holzdecke im Inneren des Hauses. Deren in Berlin geborener Sohn Julian Wagner (1950–2014) wollte eigentlich den Kunsthandwerksbetrieb des Vaters übernehmen, stieg aber schließlich 1981 als Komplementär bei Rosenbauer ein und war ab 1985 allein für Rosenbauer verantwortlich. Unter seiner Führung erfolgte der Umbau des Familienbetriebs in einen börsennotierten Weltkonzern. Trotz der internationalen Ausrichtung blieb das Unternehmen dabei mehrheitlich in Familienbesitz. Einzig am eigentlichen Stammhaus der Familie, dem Weinmeisterhaus am Pöstlingberg, schien zuletzt kein großes Interesse mehr bestanden zu haben. 

 

Letzter Akt: Die Auslöschung

Spaziergängern und Wanderern rund um den Pöstlingberg war das inmitten eines parkähnlichen Grundstücks gelegene und bei all seiner Schlichtheit fast herrschaftlich wirkende Weinmeisterhaus bis vor Kurzem ein vertrauter Anblick. Anfang 2022 wurde öffentlich, dass die Liegenschaft an einen Immobilienentwickler verkauft wurde und ein Abbruch des historischen Gebäudes im Raum stand. Der Linzer Gemeinderat Lorenz Potocnik bekam auf eine bereits Ende 2020 an das Bundesdenkmalamt gestellte Anfrage Anfang 2022 die knappe Antwort, „dass dem Objekt unter Bedachtnahme auf den heutigen Forschungsstand keine ausreichende Denkmalqualität im Sinne des Denkmalschutzgesetzes zukommt und somit auch kein Verfahren zur Unterschutzstellung […] eingeleitet wird.“ Auf eine Nachfrage der Bezirks-Rundschau präzisierte das BDA, dass „es vergleichbare Villen gibt, die die Zeit der 1930er Jahre in einem authentischeren Zustand dokumentieren“. Die Gemeinde Puchenau verwies nun ihrerseits auf die Entscheidung des BDA: Zwar begrü.e man „Projekte, die alte und neue Bausubstanz verbinden.“ Aufgrund der fehlenden Schutzwürdigkeit fehle jedoch „der Gemeinde Puchenau jegliche Handhabe, den Abriss zu verhindern.“ Die Weichen waren gestellt, von da an ging alles sehr schnell. Innerhalb weniger Tage hatten Baumaschinen Tatsachen geschaffen, das Weinmeisterhaus war Geschichte und aus dem einstigen Baujuwel ein Haufen Bauschutt geworden. Inmitten waren noch Reste der Holzdecken und der Kachelöfen sichtbar, die als Bestandteile der künstlerisch gestalteten Innenausstattung Eingang in die Datenbank des Stadtmuseums Nordico gefunden hatten – auch sie waren offenbar nicht mehr als schutzwürdig erkannt worden.

Eine Welle der Entrüstung brach sich in den Sozialen Medien Bahn – hier nur eine kleine Auswahl: „Da fehlen einem die Worte.“ „Es zerreißt einem das Herz.“ „Eine Schande!“ „Was für eine Barbarei!“ „Der ganze Abriss ist ein Frevel allerhöchsten Ausmaßes!“ „Ohne Hirn, Empfindung und Wissen.“ „Wenn es nicht Fotos gäbe, man würde es nicht glauben.“ „Schade drum. Oberösterreich ist dann doch nicht das Kulturland, das es zu sein vorgibt.“ „Sowas abreissen, geht's noch?“ „In diesem Fall bin ich für den Abriss des zuständigen Bundesdenkmalamtes.“

Die Wunde ist geschlagen. Die klaffende Baulücke lässt Raum für Spekulationen, was mit dem Grundstück künftig geschehen wird. Eine dichte Verbauung mit hochpreisigen Wohnungen  wurde kolportiert. Im Gespräch mit den OÖ. Nachrichten gibt sich die für den Abriss verantwortliche Atelier76 GmbH bedeckt über zukünftige Pläne, betont aber, dass „großer Wert auf eine nachhaltige und ressourcenschonende Immobilienentwicklung“ gelegt würde. Dieser Anspruch muss sich wohl an der denkbar nachhaltigsten und ressourcenschonendsten Variante messen lassen: Dem Erhalt und der Nutzung des bestehenden Gebäudes. 

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Abb. 6 & 7: Selbst die Reste der historischen Bausubstanz scheinen nicht mehr von Gebrauch zu sein. Foto (c) Privat, via Lorenz Potocnik

 

Epilog: Die Zeitkapsel

IMG 20220212 WA0028Im Februar erreichte die Gemeinde Micheldorf der Anruf eines Baggerunternehmers: Beim Abbruch eines Hauses in der Nähe von Linz sei eine eingemauerte Zeitkapsel aufgetaucht. In den enthaltenen Dokumenten konnten die Namen „Weinmeister“ und „Michldorf“ entziffert werden – daher wollte er nachfragen, ob in Micheldorf noch Nachkommen der Familie lebten. Familie Kalab, Nachkommen des Micheldorfer Zweigs der Weinmeister, übernahm schließlich die Dokumente und stellte sie dem Archiv des OÖ. Sensenschmiedemuseums zur Verfügung. Die Zeitkapsel enthält neben einer Tageszeitung und Bauplänen eine Reihe zum Teil sehr privater Schriftstücke und Objekte, die wohl nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Es stellt sich daher unweigerlich die Frage, ob eine Veröffentlichung zu verantworten ist oder ob nicht auch nach 85 Jahren noch Persönlichkeitsrechte berührt sein könnten. Nach reiflicher Überlegung haben wir uns bewusst für eine Veröffentlichung an dieser Stelle entschieden, gerade auch weil der Fund in seiner Zufälligkeit sehr deutlich aufzeigt, was der Abriss eines Hauses letztlich immer ist: Ein barbarischer Akt – die Auslöschung eines Stücks Geschichte.IMG 20220212 WA0013

Am Äußeren der Zeitkapsel aus Kupfer fällt zuallererst ein goldenes Hakenkreuz ins Auge – im Jahr 1937 ein zumindest bemerkenswertes Statement. Auch ein Text im Inneren lässt erahnen, dass man zwar dem Austrofaschismus recht kritisch gegenüberstand, aber offenbar durchaus hoffnungsvoll nach Deutschland blickte:

"IM NEUNUNDSECHZIGSTEN JAHRE DES DICHTERS im vierten Jahre der machtergreifung ADOLF HITLERS im dritten jahre der angemassten herrschaft der dunkelmänner in österreich wurde der bau dieses hauses von HANS WEINMEISTER sohn des michael weinmeister aus dem im vierzehnten jahrhundert von deutsch land in das kremstal eingewanderten geschlecht der sensenschmiede gleichen namens und von der DOROTHEA WEINMEISTER aus der aufrechten familie der rossenbauer in der glücklichen gemeinschaft eines musischen lebens als dach ihrer sippe und als schutzdach ihrer freunde den feinden zum trotz mit gottes hilfe zu bauen begonnen. der plan des hauses stammt von STEFAN THIERSCH sohne des paul thiersch. so wie zu seinem beginn umstanden von den wünschen der freunde möge das haus bestehen und raum geben dem stets sich erneuernden leben der freundschaft. › LIEBE GEBAR DIE WELT LIEBE GEBIERT SIE NEU […] SCRIPSIT J.R."

Abb. 8: Reste der bei den Abbrucharbeiten beschädigten Zeitkapsel.

Abb. 9: Haben die Zeit in der Kapsel überdauert: Die Zeilen eines mit seinen Initialen J.R. auf dem Text verewigten Autors. Foto (c) OÖ. Sensenschmiedemuseum / Martin Osen

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